
Taper Tantrum 2.0 oder kontrollierte Zinswende in den USA? (2022)
Die US-amerikanische Notenbank Federal Reserve, kurz FED, hat am 03.11.2021 offiziell bekannt gegeben, die Wertpapierkäufe zukünftig zu reduzieren. Damit fährt die US-Notenbank die monatlichen Anleihekäufe i.H.v. 120 Milliarden USD sukzessive zurück.
In diesem Beitrag analysieren wir die Auswirkungen der FED-Entscheidung auf Aktien und ETFs.
1. Was heißt Tapering? - Anleihekäufe der FED
Der Begriff Tapering beschreibt die Reduzierung eines bestehenden Stimulus, bei welchem die FED regelmäßige Anleihekäufe durchführt.
Jerome Powell, Vorsitzender der FED, gab am 03.11.2021 bekannt das Kaufprogramm monatlich um 15 Milliarden USD zu reduzieren. Die ersten beiden Schritte sind für November und Dezember dieses Jahres geplant. Es wird davon ausgegangen, dass diese Reduzierung der Anleihekäufe durch die Notenbank beibehalten wird und voraussichtlich im Juni 2022 ihr Ende nimmt.
Somit wäre das monatliche Kaufprogramm über 120 Milliarden USD im Sommer 2022 eingestellt.
Diese Ankündigung lässt bereits jetzt über künftige Zinserhöhungen und eine Normalisierung dieser Liquiditätsschwemme spekulieren.
Quantitative Easing: Ein Symptom moderner Geldpolitik
Das sogenannte Quantitative Easing, ein Prozess ultralockerer Geldpolitik und grenzenloser Liquidität, begleitet die internationalen Finanzmärkte schon seit über 10 Jahren. Aufgrund drohender Rezessionen und Verwerfungen an den sensiblen wie auch hochkomplexen Weltmärkten, waren die Federal Reserve und Co dazu gezwungen, jahrelang ihre Geldschleusen zu öffnen. Wiederkehrende Zinserhöhungen und -senkungen dienten hierzu als weitere Stellschraube für die Kalibrierung von Konjunktur und Märkten.
Dieser Prozess von Zinsanpassungen, Quantitative Easing und Tapering, wird bestimmt durch Faktoren wie Inflation, Konjunktur und dem Arbeitsmarkt.
Die Verantwortung der internationalen Notenbanken ist enorm. Die Börsenakteure beobachten daher genauestens die Entscheidungen und Aussagen der FED. Ebenso achtet die FED auf die Entwicklung an den Märkten, da diese wiederum als Indikator für die Wirtschaft von großer Bedeutung sind. An der Börse wird bekanntlich die Zukunft gehandelt.
Quantitative Easing
- expansive geldpolitische Maßnahme einer Zentralbank
- die FED kauft Wertpapiere mit langer Laufzeit
- der Finanzmarkt wird mit Liquidität versorgt
- Impuls für Wirtschaft und Börse
2. Quantitative Easing zu Corona-Zeiten
Durch die allgegenwärtige Corona-Krise sind die internationalen Märkte im März 2020 unter Hochdruck geraten. Für eine kurze Zeit stand die Welt still und niemand konnte einen seriösen Ausblick liefern. In einem globalen Kraftakt haben die Notenbanken, federführend durch die FED, ein gigantisches Kaufprogramm aufgelegt und mehrere Billionen USD in die Märkte gepumpt. Ein vergleichbares Konjunkturprogramm gab es bis dato nicht. Im Sommer fingen sich die Märkte und es kam zu einer schnellen Erholung.
Zusätzlich zur Liquiditätsspritze wurde der Leitzins in den USA schlagartig von 1,75 % auf 0,25 % gesenkt.
Aktuell beläuft sich die Spanne bei 0 bis 0,25%. Die Wirtschaft hat sich in den letzten Monaten stabilisiert, die Börsen entwickeln sich prächtig und die Inflation ist zurück. In den letzten 10 Jahren haben die Notenbanken die Inflation quasi vermisst. Als Ziel wird eine Rate von 2 % im Jahr angestrebt.
Mittlerweile steht die Inflationsrate bei 6,2 % und somit deutlich über dem selbsternannten Ziel.
Nun verweist die FED auf die unterdurchschnittlichen Werte der letzten Jahre und den Wirtschaftsaufschwung, dennoch sind auch rasant steigende Energiepreise nicht von der Hand zu weisen.
- Ziel der FED ist eine Inflationsrate von 2 %
- Aktuell liegt die Rate bei 6,2 % (Stand Oktober)
- Zinssenkung während Pandemie von 1,75 % auf 0,25 %
- Leitzinsanpassung sorgt für Stimulus oder Inflationseindämmung
3. Auswirkungen der Anleihekäufe der FED: Vorübergehende Inflation und Vollbeschäftigung?
Es stellt sich also die Frage danach, wie vorübergehend eine erhöhte Inflation ist. Zunächst ging die FED von einem kurzweiligen Phänomen aus, momentan ist man sich jedoch nicht mehr so sicher.
Die Finanzmärkte reagieren bisher äußerst gelassen auf das anstehende Tapering. Der Dow Jones erreichte erst kürzlich ein neues Allzeithoch. Auch die europäischen Märkte, allen voran der Deutsche Leitindex DAX, verzeichnen ein Plus. Grundsätzlich ist die Börse über zusätzliche Liquidität erfreut. Ein Kurswechsel mit Zinserhöhungen als Konsequenz wurde jedoch von den Marktteilnehmern erwartet. Daher besteht aktuell keine Panik. Außerdem steht nicht fest, ob die Zinsen nächstes Jahr zwingend erhöht werden. Ebenso nicht in welchem Umfang.
Die FED plant einen behutsamen Ausstieg aus ihren Wertpapierkäufen. Für die nächsten Monate bleibt jedoch alles beim Alten und es fließt weiterhin billiges Geld in die Märkte. Selbst wenn es zu Zinsanpassungen kommt, kann die FED keine drastischen Veränderungen vornehmen. Es müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, ehe die amerikanische Notenbank tatsächlich einen Wechsel anstrebt.
- 2 % Inflationsrate als Zielmarke
- Arbeitslosenquote soll stabil unter 4 % liegen
Im September 2021 lag die Quote bei 4,8 %. Die Börse geht davon aus, dass frühestens im Sommer 2022 Zinserhöhungen kommen.
4. Staatsschulden der USA: Defizitärer US-Haushalt
Die Bilanzsumme der FED wird sich bis zum Ende des Kaufprogramms auf unglaubliche 9 Billionen USD aufgebläht haben.
Das ist das 10-fache von 2008 und mehr als das Doppelte von vor der Pandemie.
Einige Marktteilnehmer befürchten hierin eine Gefahr durch höhere Inflationsraten, andere wiederum empfinden dieses Vorgehen inzwischen als normal. In den letzten Jahren entstand der Eindruck, dass sich das Gros der Anleger an die Handlungen der FED gewöhnt hat und die Notenbank bei Turbulenzen an den Märkten umgehend für zusätzliche Liquidität sorgte.
Obwohl die Welt weiterhin ohne Ende Schulden macht, funktioniert das System. Die USA hat mittlerweile eine Staatsverschuldung i.H.v. 130 % des BIP, der Wirtschaftsleistung, angehäuft.

Staatsverschuldung der USA (in Prozent des BIP) seit 1790
In vielen anderen Ländern sieht es ähnlich aus. Auf den USA liegt jedoch das Hauptaugenmerk, da es sich um die größte Volkswirtschaft weltweit handelt.
Die Verschuldung einer Nation spielt hierbei eine nicht unerhebliche Rolle. Überträgt man das Beispiel auf ein Unternehmen oder einen Privathaushalt mit ähnlicher Verschuldung, wird das Problem offensichtlich. Zinserhöhungen sind nur begrenzt möglich. Ansonsten würde ein Zahlungsausfall drohen bzw. die Zinsen können nur mit weiteren Schulden bezahlt werden.
Die Handlungsfähigkeit der größten Volkswirtschaft wäre erheblich eingeschränkt
In der Vergangenheit gab es schon zahlreiche Beispiele für dieses Szenario. Der US-Kongress muss nicht zum ersten Mal über eine Ausweitung der Schuldengrenze abstimmen. Dass die USA de facto ohne entsprechende Maßnahmen immer wieder zahlungsunfähig wären, ist kein Geheimnis. Dennoch steigen die Aktienmärkte Jahr für Jahr und der Globus dreht sich weiter.
Die Nullzinspolitik und grenzenlose Liquidität der FED helfen ungemein. Die genannten Tatsachen sprechen auch langfristig für niedrige Zinsen. Ein Niveau von 5 % oder mehr wäre heute undenkbar. Daher sind die Notenbanken sehr vorsichtig beim Tapering. Auch dieses Mal ist größte Vorsicht geboten. Die Märkte gehen zurecht in einem stabilen Umfeld von Zinsanpassungen aus. Jedoch sollte man nicht von einer kompletten Zinswende ausgehen. Die Welt kann sich zu hohe Zinsen schlicht nicht leisten.
5. Das Dilemma der FED
Somit besteht für die FED ein gewisses Dilemma. Vor diesem Dilemma stehen auch andere Notenbanken, wie z.B. die Europäische Zentralbank, kurz EZB. Ohne Veränderungen droht eine zunehmende Inflation. Diese sorgt auf Dauer für eine starke Geldentwertung durch steigende Preise. Die Notenbanken sind somit gezwungen etwas zu unternehmen und die Inflation einzudämmen. Gleichzeitig können die Zinsen nicht nach Wunsch erhöht werden. Dies würde für die US-Regierung starke Einschränkungen zur Folge haben und wiederum die Stabilität der Wirtschaft gefährden. Ein weiteres Problem besteht im internationalen Vertrauen in den US-Dollar als Leitwährung, falls eine Zahlungsunfähigkeit droht.
Der Spielraum für Entscheidungen ist folglich beschränkt.
Die wichtigste Funktion der FED ist unbestritten die Wahrung des Gleichgewichts. Für die Börse steht momentan nichts Unerwartetes im Raum. Solange die Wirtschaft sich weiter erholt und der Arbeitsmarkt stabil bleibt, gibt es wenig Grund zur Panik. Dennoch gilt es, die Inflation genau im Blick zu behalten. Sollte es kein vorübergehendes Phänomen sein, müssen die Notenbanken agieren. Wie von Jerome Powell angekündigt, erfolgt das Tapering kontrolliert in kleinen Schritten. Die Notenbanken sind auch bekannt dafür, je nach Konjunktur das Programm schneller oder langsamer zu beenden. Ein Taper Tantrum ist daher nicht zu erwarten.
6. Fazit
Im Moment sieht es für die meisten Indizes eher nach einer Jahresendrally aus, da zunächst keine großen Veränderungen anstehen. Der US-Dollar reagierte gegenüber dem Euro ebenfalls positiv auf das angekündigte Tapering. Mögliche Zinsanpassungen machen den Dollar mittelfristig wieder attraktiver. Wie sich die Inflation weiterentwickelt, kann nur sehr schwer vorhergesagt werden. Das Tapering und Zinserhöhungen sollten dem entgegenwirken. Aufgrund des begrenzen Handlungsspielraumes der FED hinsichtlich der Zinsen, kann man jedoch von einer mittelfristig erhöhten Inflationsrate ausgehen.
Ausschlaggebend sind hierbei die Rohstoff- und Energiepreise. Sollte sich die Inflation weiterhin in einem moderaten Korridor bewegen und keine drastischen Zinserhöhungen stattfinden, ergibt sich grundsätzlich ein positives Bild für die Aktienmärkte.