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Eine Hand zeigt auf einen schwarzen Stromverteiler.

Die Merit-Order: Einfluss auf den Strompreis in Deutschland

Mit dem Beginn der Energiekrise im Jahr 2021 konnte noch niemand erahnen, welchen Ausmaß der Preisschock annehmen sollte. Seit dem Ausbruch des Russland-Ukraine-Krieges hat sich die Teuerung nochmals beschleunigt und die Inflation ist inzwischen so hoch wie seit über 40 Jahren nicht mehr.

In unserem ausführlichen Ratgeber zum Strompreis in Deutschland erhältst du zahlreiche Informationen zu den Hintergründen der steigenden Energiepreise. Ein zentraler Begriff in diesem Zusammenhang ist die Merit-Order.

In diesem Beitrag erläutern wir, was die Marit-Order ist, wie sie funktioniert und welchen Einfluss das Konzept auf den Strompreis in Deutschland hat.

1. Was ist die Merit-Order? - Definition und Erklärung

Als Merit-Order bezeichnet man allgemein die Reihenfolge der Vorteilhaftigkeit. Folglich geht es um die Einsatzreihenfolge der stromerzeugenden Kraftwerke. Allerdings ist die Merit-Order bzw. das Merit-Order-Modell kein Gesetz im herkömmlichen Sinn, sondern ein mögliches Beschreibungsmodell.

Was genau das nun konkret bedeutet, erklären wir dir im nächsten Abschnitt.

Das Merit-Order-Modell versucht die Preisbildung am Strommarkt zu beschreiben.

2. Wie funktioniert die Merit-Order?

Die Merit-Order orientiert sich an den niedrigsten Grenzkosten. Als Grenzkosten bezeichnet man Kosten, die bei einer zusätzlich produzierten Einheit entstehen. In diesem Fall geht es um die Kosten eines Kraftwerks, die für die zuletzt produzierte Megawattstunde anfallen. Hierbei spielen die Fixkosten keine Rolle.

Merit-Order gibt die Einsatzreihenfolge der Kraftwerke vor

Zur Gewährleistung einer wirtschaftlichen und sicheren Stromversorgung müssen so lange Kraftwerke zugeschaltet werden bis die gesamte Nachfrage an Strom gedeckt ist. Zuerst berücksichtigt man die Kraftwerke mit niedrigen Grenzkosten. Das sind die Kraftwerke, die den günstigsten Strom zur Verfügung stellen. Anschließend kommen solange stromproduzierende Kraftwerke hinzu bis die Gesamtnachfrage gedeckt ist.

Das teuerste Kraftwerk bestimmt den Strompreis

Das letzte Kraftwerk, das noch zur Deckung der Nachfrage benötigt wird, bezeichnet man als Grenzkraftwerk. Dieses Grenzkraftwerk gibt den Strompreis vor. An der Strombörse gilt ein Einheitspreis, den alle Erzeuger erhalten. Das letzte Angebot, das einen Zuschlag erhält, nennt man auch Markträumungspreis oder Market-Clearing-Price (MCP).

3. Einfluss der Merit-Order auf den Strompreis

Im aktuellen Umfeld produzieren die Gaskraftwerke in Deutschland den teuersten Strom. Das liegt vor allem an den stark gestiegenen Rohstoffpreisen für Erdgas und Erdöl. Folglich gibt das Grenzkraftwerk, aktuell ein Gaskraftwerk, den Strompreis für alle Erzeuger vor. Von Vorteil ist, dass man diese Gasturbinenkraftwerke in wenigen Minuten hochfahren kann. Ein weiterer Faktor ist der schnelle und zielgenaue Ausgleich von Leistungsveränderungen im Stromnetz.

Der hohe Gaspreis treibt den Strompreis in Deutschland

Allerdings stellen die hohen Beschaffungskosten und das Design des Strommarktes derzeit einen erheblichen Nachteil für Verbraucher und energieintensive Unternehmen dar. Aufgrund der Energieknappheit bei gleichzeitig hoher Nachfrage explodieren die Gaspreise seit 2020. In den vergangenen 12 Monaten hat sich der europäische Gaspreis zwischenzeitlich mehr als verfünffacht.

Zum Vergleich: In den letzten 10 Jahren lag der Preis des Natural Gas EU Dutch TTF Kontrakts, der Benchmark für europäisches Gas, meist zwischen 10 € und 30 € je Megawattstunde (MWh). Mittlerweile bewegen sich die Kosten im dreistelligen Euro-Bereich je MWh. In der Spitze waren es weit über 300 €, aktuell sind es knapp 200 €. (Stand September 2022, Quelle: Tradingeconomics.de)

Merit-Order-Effekt, erneuerbare Energien und Residuallast

Als nächstes werfen wir einen Blick auf den Merit-Order-Effekt und die Bedeutung der erneuerbaren Energien. Wenn erneuerbare Energien (Wind, Sonne, Biomasse) weiterhin ausgebaut werden und zunehmend Strom ins Netz einspeisen, senkt das die sogenannte Residuallast. Unter der Residuallast versteht man den Restbedarf, den die erneuerbaren Energien nicht decken können. Nach wie vor müssen konventionelle Kraftwerke, beispielsweise Kohle- und Gaskraftwerke, die Lücke schließen.

Bei genauerer Betrachtung der Merit-Order verschieben dauerhaft sinkende Stromerzeugungskosten die übliche Einsatzreihenfolge der Kraftwerke. Eine zunehmende Einspeisung der erneuerbaren Energien verdrängt die Höchstlastkraftwerke. Der Merit-Order-Effekt der erneuerbaren Energien soll also die Residuallast senken, die teuersten Kraftwerke verdrängen und schließlich den Börsenstrompreis senken.

Die nachfolgende Grafik soll den Merit-Order-Effekt veranschaulichen.

Merit-Order-Effekt der erneuerbaren Energien
Verdrängung von Spitzenlastkraftwerken durch den Merit-Order-Effekt der erneuerbaren Energien

Die Kraftwerke mit hohen Grenzkosten werden durch Kraftwerke mit geringeren Grenzkosten verdrängt.

4. Fazit und Kritik am Merit-Order-Modell

Aufgrund der Preisentwicklung der vergangenen Monate gerät das europäische Strommarktdesign zunehmend unter Druck – die Kritik nimmt zu und der Ruf nach Veränderungen wird laut.

Kurzfristig könnte die Politik direkte Eingriffe in den Strommarkt vornehmen. Mittel- bis langfristig setzt man auf den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und die Entkopplung von Gas- und Strompreis.

Das Merit-Order-Modell eignet sich als Beschreibung der kurzfristigen Preisbildung am Strommarkt, jedoch vernachlässigt das Modell langfristige Effekte. Außerdem werden die Fixkosten nicht berücksichtigt. Die Einspeisung der erneuerbaren Energien fördert also eine kurzfristige Preissenkung, lässt aber außer Acht, dass nur ein Teil des Strombedarfs über die Börse gehandelt wird. Der Großteil des Stroms wird außerbörslich gehandelt.

Zudem könnte der Merit-Order-Effekt der erneuerbaren Energien einige der konventionellen Kraftwerke mit hohen Fixkosten und geringen variablen Kosten langfristig aus dem Markt verdrängen. Dafür ist man dann häufiger auf die teuren Höchstlastkraftwerke mit hohen variablen Kosten angewiesen.

Eine Anpassung in Form eines modifizierten Merit-Order-Modells könnte zu einer besseren Beschreibung der Preisbildung am Strommarkt beitragen.

Nach heutigem Stand der Technologie sind die erneuerbaren Energien für die kurzfristige Einspeisung gut geeignet. Nichtsdestotrotz benötigen wir aus meiner Perspektive konventionelle Kraftwerke für die Spitzenlast, den Leistungsausgleich sowie langfristige Planbarkeit. Ein weiterer Aspekt ist die Notwendigkeit von effizienten Speicherlösungen, die existieren müssen, wenn Strom ausschließlich aus regenerativen Energiequellen bezogen wird.

Hi! Ich bin
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Ich bin gelernter Bankkaufmann und leidenschaftlicher Privatinvestor. Meine ersten Aktien habe ich im Alter von 14 gekauft und dabei die Börse kennengelernt. Seitdem beschäftige ich mich intensiv mit dem Geschehen an den Finanzmärkten und den unterschiedlichen Anlageklassen. Getreu dem Motto "man lernt nie aus" möchte ich mir ständig neues Wissen aneignen und so viel wie möglich an andere weitergeben.

Kommentare
  1. „Allerdings stellen die hohen Beschaffungskosten und das Design des Strommarktes derzeit einen erheblichen Nachteil für Verbraucher und energieintensive Unternehmen dar.“- Dieser Mythos wird in allen Medien hergebetet, ist aber komplett falsch:

    Das Merit-Order-Modell beschreibt den Preisbildungsmechanismus am Spotmarkt (Day-ahead-Auktion und Intraday). Die Verbraucherpreise bilden sich am Terminmarkt und dieser Terminmarkt bildet sich nicht aus dem Grenzwert der teuersten Technologie, sondern ist individuell zwischen zwei Marktteilnehmern verhandelt. Dabei werden sehr wohl Fixkosten der Kraftwerke und langfristige Effekte berücksichtigt.

    Um einen Eindruck von den Dimensionen zwischen Spotmarkt und Terminmarkt zu bekommen, hier folgende Graphik:
    https://de.statista.com/statistik/daten/studie/12486/umfrage/entwicklung-der-eex-handelsvolumina/
    Weit über 85% des in Deutschland gehandelten, europäischen Stromes wird über den Terminmarkt und nicht über den Spotmarkt bepreist! Zudem beschaffen (fast) alle Stromversorger den Strom über den Terminmarkt und berechnen die Kundenpreise maßgeblich auf Basis des Terminmarktes.
    Das Marktdesign der Merit Order hat somit kaum Einfluss auf den Verbraucherpreis!
    Dies ist auch im Wikipedia-Artikel zur Merit Order gut beschrieben (https://de.wikipedia.org/wiki/Merit-Order). Vielmehr sorgt die Verknappung von fossilen Brennstoffen für einen Anstieg der Strom- und Gaspreise. Der Grund liegt also nicht im Marktmodell, auch mit anderen Marktmodell hätten wir in der aktuellen Situation ohne Gasimporte aus Russland höhere Energiekosten.

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